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Geschichte des Suizides

in Suizid 30.09.2012 14:52
von Lichtfee • 117 Beiträge | 3750 Punkte

1 EINLEITUNG

Suizid (Selbsttötung), absichtsvolle Tötung der eigenen Person. Suizid wurde zu allen Zeiten in allen Gesellschaften begangen, jedoch gibt es wesentliche Unterschiede in der gesellschaftlichen Einstellung zum Suizid, in den Methoden der Selbsttötung und in der Häufigkeit, mit der im Lauf der Geschichte Suizid begangen wurde.

Sokrates Mit seinen Gedanken und der erkenntnisfördernden Art und Weise seiner Lehrtechnik übte Sokrates einen großen Einfluss auf die abendländische Philosophiegeschichte aus. 399 v. Chr. wurden Vorwürfe wegen Gotteslästerung und Verführung der Jugend gegen ihn erhoben. Nach seiner Verurteilung zum Tod trank er – trotz der Möglichkeit zur Flucht – den Schierlingsbecher.Giraudon/Art Resource, NY


2 GESCHICHTLICHER HINTERGRUND

Im alten Europa, besonders im Römischen Reich, wurde der Suizid gebilligt und galt manchmal sogar als ehrenvoll. Unter dem Einfluss des Stoizismus akzeptierten die Römer viele legitime Gründe für eine Selbsttötung. Der römische Philosoph Seneca pries ihn als letzte Handlung eines freien Menschen.

Für den Kirchenvater Augustinus war der Suizid jedoch seinem Wesen nach eine Sünde. Mehrere Konzilien der frühen Christenheit beschlossen, dass Menschen, die Suizid begangen hatten, nicht kirchlich beerdigt werden durften. Im Mittelalter verurteilte die katholische Kirche jede Selbsttötung. Das mittelalterliche Recht sah in der Regel vor, dass das Eigentum dessen, der sich selbst getötet hatte, eingezogen wurde; nach dem Gewohnheitsrecht wurde der Leichnam schimpflich behandelt. Das englische Recht sah später in jedem Fall von Selbsttötung die Verwirkung allen Hab und Guts zwingend vor. Dem konnte man allerdings entgehen, wenn der den Todesfall untersuchende Amtsarzt den Toten nachträglich für geisteskrank erklärte. 1870 wurde dieses Gesetz abgeschafft. 1823 wurde die Bestattung von Selbstmördern auf geweihtem Grund legalisiert, aber erst 1882 wurde auch die kirchliche Beisetzung erlaubt. Nach christlichem, jüdischem und islamischem Glauben ist die Selbsttötung nach wie vor verboten. Heute betrachtet man den Suizid jedoch eher unter psychosozialen als unter moralischen Aspekten. 1897 stellte Émile Durkheim die These auf, dass der Suizid kein rein individualistischer Akt sei, sondern vielmehr ein soziologisches Phänomen. Er sah in ihm eine Folge sozialer Fehlanpassung und mangelnder sozialer Integration. Durkheim unterschied vier Typen des Suizids: den egoistischen, den altruistischen, den anomischen und den fatalistischen. Nach seiner Auffassung war jede Art des Suizids Ausfluss spezifischer sozialer Bedingungen: der egoistische und der altruistische Suizid einer zu geringen bzw. zu starken Integration in die Gesellschaft, der anomische und der fatalistische Suizid dagegen von Regellosigkeit bzw. zu starker Regulierung.


3 AUSLÖSENDE UMSTÄNDE

Der Suizid ist eine komplexe Handlung mit biologischen, psychischen und sozialen Ursachen. Aus psychiatrischer Sicht lässt sich beispielsweise feststellen, dass Suiziden meist eine tiefe Depression vorausgeht.

Der Suizid ist eine Flucht aus einer als schmerzlich empfundenen Situation; er kann dabei auch als Racheakt an der Person gedacht sein, die für das Leiden, von dem die Selbsttötung befreien soll, verantwortlich gemacht wird. Solche Gefühle werden manchmal in Abschiedsbriefen formuliert. Zumeist aber dürfte der Suizid eine Reaktion auf das fortgesetzte Empfinden sein, dass das Leben zu viele Schmerzen bereithält, und dass nur der Tod dauerhaft Erleichterung verschaffen kann.

Unter schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen steigt die Suizidrate oft sprunghaft an. Das war beispielsweise im 1. Weltkrieg unter jungen Deutschen der Fall oder in den USA zum Höhepunkt der Wirtschaftskrise 1933. In einzelnen Fällen kommt es auch vor, dass Menschen mit ihrer Selbsttötung gegen die Politik beispielsweise eines Unrechtsregimes protestieren.

„Misslungene” Suizidversuche sind manchmal ein Hilfeschrei. Missachtet man sie, so kann ein „erfolgreicher” Suizid die Folge sein. Solche Hilfeschreie dürfen aber nicht mit den eher manipulativen Formen aufmerksamkeitsheischender Suizid-„Versuche” oder -Drohungen verwechselt werden, die dazu dienen sollen, Macht über die Gefühle und das Verhalten anderer Menschen, in der Regel der Familienmitglieder, zu gewinnen.


4 EINSTELLUNGEN ZUM SUIZID

In vielen Ländern verstößt ein Suizid gegen Gesetze; in anderen, besonders in römisch-katholisch geprägten Ländern, ist er gesellschaftlich geächtet, ohne dass es dazu besonderer Gesetze bedarf. Den extremen Gegenpol bilden Gesellschaften, in denen bestimmte Formen der Selbsttötung besonders hoch geachtet werden. Früher galt es beispielsweise bei den Japanern als ehrenhaft, Harakiri zu begehen: Eine Person, die wegen eines Fehlers oder einer Pflichtverletzung ihre Ehre verloren hatte, konnte dies wieder gutmachen, indem sie sich in ritueller Weise mit einem Dolch durchbohrte. In Indien wurde bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einer Witwe erwartet, dass sie Sati beging, das heißt sich auf den Scheiterhaufen warf, auf dem der Leichnam ihres Mannes verbrannt wurde. Dies nicht zu tun wäre unehrenhaft gewesen. Im 2. Weltkrieg betrachteten japanische Kamikazepiloten es als Ehre, Selbstmordkommandos zu fliegen, in denen sie sich mit ihrem Flugzeug auf ein feindliches Ziel stürzten.


5 NEUERE FORSCHUNGEN

In römisch-katholisch geprägten Gesellschaften sind die Suizidraten im Allgemeinen niedriger als in protestantischen. Jedoch spiegelt dies vermutlich lediglich die Tatsache wider, dass Katholiken sich weit stärker als Protestanten genötigt sehen, einen Suizid zu verschleiern. Offiziellen Statistiken zufolge sind im Lauf des 20. Jahrhunderts die Suizidraten tendenziell gestiegen. Manche Fachleute schreiben dies jedoch den verbesserten Methoden der Erhebung statistischer Daten und der schwindenden Stigmatisierung des Suizids zu.

Die steigende Lebenserwartung der Menschen in den westlichen Gesellschaften mag mit dazu beitragen, dass manche ältere Menschen, die schwere Verluste zu verkraften haben oder unheilbar erkrankt sind, Suizid begehen. Dabei bitten sie nicht selten einen Arzt um Hilfe (siehe Tötung auf Verlangen; Euthanasie). Das einzige Land, in dem die Tötung auf Verlangen unter gewissen Umständen straffrei bleibt, sind bislang die Niederlande. In einigen Bundesstaaten Australiens, Kanadas und der Vereinigten Staaten werden Gesetzesänderungen diskutiert, die eine richterliche Differenzierung bei Fällen der Tötung auf Verlangen ermöglichen sollen.

Wachsende Einsamkeit, Entwurzelung und Sinnverlust sind nach Ansicht vieler Psychologen dafür verantwortlich, dass die Suizidhäufigkeit in den Industriestaaten ansteigt.

Menschen, die suizidgefährdet sind oder eine Krise durchleben, können sich in Deutschland unter der bundeseinheitlichen Rufnummer 1 11 01 oder 1 11 02 an die Telefonseelsorge der Kirchen wenden. Viele Städte unterhalten auch Kindernottelefone und Frauennotrufe; große Wohlfahrtsorganisationen und die Kommunen bieten Beratungsstellen, an die man sich wenden kann. In den psychiatrischen Kliniken gibt es zudem meist Abteilungen zur Krisenintervention. Durch Depressionen bedingte Suizide sind bei Menschen bis zu 40 Jahren in Deutschland die zweithäufigste Todesursache.

Bei gentechnisch veränderten Mäusen gelang der Nachweis, dass bestimmte Oberflächenproteine von Nervenzellen (so genannte CRH1-Rezeptoren) zu Stress führen. Stresshormone werden im Körper durch ein CRH-Proteinmolekül freigesetzt, das sich an einen CRH1-Rezeptor bindet. Unter Depressionen leidende Menschen bauen die Stresshormone wahrscheinlich zu langsam ab. Wissenschaftler der Universität München berichteten 2001 über die Entdeckung eines bestimmten Gens, das die Neigung zum Suizid fördert. Dieses Gen, das die Funktion des Neurotransmitters Serotonin beeinträchtigt, wurde bei Personen, die Suizid begangen hatten, erheblich häufiger gefunden als bei anderen.

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